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Patientenstorys

Das Wichtigste zum Schluss

In Kooperation mit
Health worker holding patient's hand
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Health worker holding patient's hand

Priv.-Doz. Dr. Matthias Unseld, PhD

Interim. stellver­tretender Leiter der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin am AKH Wien

Auch wenn die Medizin in der Onkologie beeindruckende Fortschritte gemacht hat, ist die Diagnose Krebs in vielen Fällen nach wie vor ein Todesurteil. Was das in Patienten auslösen kann, wie man als behandelnder Arzt damit umgeht und was Palliativmedizin alles umfasst, erklärt Dr. Matthias Unseld von der Österreichischen Palliativgesellschaft.

Eine terminale Diagnose setzt oft bei Menschen eine bemerkenswerte Entschlusskraft frei, sodass sie plötzlich in der Lage sind, radikale Entscheidungen zu treffen – was in vielen Fällen zu einem glücklicheren und erfüllten finalen Lebensabschnitt führt. Warum, glauben Sie, ist das so?

Ja, tatsächlich werden die Patienten oft unmittelbar mit einer sehr schweren Situation konfrontiert. Von einem Moment auf den anderen ändert sich vieles. Verlust und Traurigkeit werden spürbar, weil das Nachdenken über ein baldiges Lebensende unumgänglich wird. Doch bei allen Schwierigkeiten spürt man das Jetzt oft sehr intensiv.

Mit diesem Wissen, dieser neuen Realität werden dann Entscheidungen getroffen, mit denen die Menschen ihren letzten Lebensabschnitt so gut wie möglich gestalten können. Hier geht es auch sehr viel um einen inneren Frieden, denn nicht nur Schmerzfreiheit ist den Menschen wichtig, sondern auch, ihre Partner, ihre Familie gut versorgt zu wissen.

Im Film „Das Beste kommt zum Schluss“ beschließen zwei Todkranke, gemeinsam eine Liste „abzuarbeiten“. Darauf sind die Dinge vermerkt, die für beide als Voraussetzung für ein erfolgreiches Leben gelten. Haben Sie so eine Liste schon mal in Ihrem Berufsalltag erlebt? Welche Aktivitäten sind den Betroffenen zum Schluss besonders wichtig?

Mir fallen da immer wieder Patienten ein, die unbedingt noch eine Reise machen wollten. Ob Karibik, Safari oder Grönland, da war fast alles dabei. Hollywood versteht es, derartige Zustände besonders in Szene zu setzen, aber oft ist die Situation subtiler. Die Patienten haben Beschwerden, und die Frage der Mobilität wird gerade in dieser Phase sehr wichtig. Die Betroffenen verbringen nach wie vor sehr viel Zeit im Krankenhaus, um Therapien nachzukommen und unterschiedliche Nebenwirkungen zu bekämpfen. Da wird diese „Hollywood-Liste“ oft kürzer und die wohltuenden Aktivitäten beschränken sich auf einen kleinen Spaziergang im Park oder im eigenen Garten. Sie rücken ins Zentrum der Wichtigkeit. Auch im Film kommt sehr gut heraus: Die Menschen machen sich Gedanken darüber, wie sie zu sich selbst und ihren Mitmenschen stehen. Die Frage „Wie kann ich so lange wie möglich bei ihnen sein?“ wird essenziell.

Natürlich sitzt bei den meisten Betroffenen – und auch bei deren Angehörigen – der Schock nach einer terminalen Diagnose tief. Gibt es eine planmäßige Vorgehensweise, nach der Sie diese Patienten begleiten, oder wird das immer individuell entschieden?

Hier sprechen Sie einen sehr wichtigen Punkt an. Es gibt einen hohen Prozentsatz an Menschen, die mit dieser Belastung nicht umgehen können und darunter leiden. Vor anderen Menschen oder medizinischem Personal nehmen sich die Betroffenen oft zusammen, aber im Inneren brodelt es gewaltig. Die Gedanken an schöne Reisen oder lustige Hollywoodfilme weichen den essenziellen Fragen des Lebens, Verlustängsten und Todesängsten. Meinen Kindern sage ich immer: „Klowörter gehören entweder aufs Klo oder in meine Ambulanz.“ Und ja, wenn man die Umstände ehrlich und offen anspricht, sich die Zeit und den Raum für ein Gespräch mit den betroffenen Menschen nimmt, dann fallen schon manches Mal derartige „Klowörter“. Die Konfrontation mit der Realität ist schwer zu verarbeiten, da gibt es dann nichts zu beschönigen. Traurigkeit und Verlust nehmen einen großen Raum ein. Das ist für alle Beteiligten kein Leichtes. Wichtig ist nur, dass man da nicht hängen bleibt und alleingelassen wird. Hier sind wir noch sehr weit weg vom optimalen Setting. Wenn Sie körperliche Schmerzen haben, können Sie ins Krankenhaus kommen, aber bei psychischen Problemen müssen Sie selbst Geld in die Hand nehmen, um Hilfe zu bekommen – und zu suchen. Es fehlt an Ressourcen und psychologisch geschultem Personal. Ein erster Anfang wäre sicher, dass Psychologen an onkologischen und palliativmedizinischen Ambulanzen leichter verfügbar sind.

Ärzte und Pflegepersonen haben aufgrund ihrer Fülle an Arbeitsanforderungen oft nicht die Zeit, die es in solchen Situationen bräuchte. Wir haben aktuell einen tollen Menschen, auf unserer Station. Sie ist spezialisiert auf Gespräche in Grenzsituationen, holt die Menschen dort ab, wo sie gerade sind, und führt Gespräche mit ihnen, ohne Limitierung, solange diese eben dauern. Dadurch gelingt es oft, Sinn in aussichtslose Situationen zu bringen und Belastungen zu lindern.

Nebenbei gibt es schon länger die Möglichkeit des mobilen Palliativteams, das Menschen auch zu Hause besuchen und unterstützen kann. Aufklärung gibt es hier von unserer Sozialarbeiterin, denn leider sind derartige Angebote oft unbekannt oder werden zu spät in Anspruch genommen. Dabei wäre es gerade hier wichtig, die Men- schen früh zu begleiten und abzuholen.

Täglich mit dem Tod konfrontiert zu sein, hinterlässt auch bei den Behandelnden Spuren. In welcher Form verarbeiten Sie persönlich Ihren Berufsalltag? Tauschen Sie sich über Erlebtes mit Kollegen aus oder mit Ihrer Familie – natürlich unter Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht?

Der Umgang mit dem täglichen Sterben und dem Tod ist tatsächlich auch für jeden von uns eine große Herausforderung. Doch vorab will ich anmerken, dass ich von vielen Patienten auch reich beschenkt werde.

Wenn man sich um einen Menschen kümmert, der an einer metastasierten Krebserkrankung leidet, kommt sehr viel Dankbarkeit zurück, und das Vertrauen, das einem von einem „fast Fremden“ geschenkt wird, ist durchaus eine Ehre, die man zu schätzen wissen sollte. Ich denke, bei mir persönlich hat es eine gewisse Tiefe ausgelöst. Damit will ich nicht sagen, dass ich nun ein weiser Mann geworden bin, aber mit einer gewissen Oberflächlichkeit kann ich oft nicht mehr viel anfangen, so wie das oft in meinem früheren (Berufs-)Leben der Fall war. Dazu mischen sich eine gewisse Dankbarkeit dem Leben gegenüber und die Einstellung, dass vieles, mit dem wir tagtäglich hadern, eigentlich gar nicht so wichtig ist. Bei sehr traurigen Schicksalen, wie zum Beispiel von jungen Familien, die ihr Leben noch vor sich hatten, oder Menschen, deren Umstände besonders tragisch sind, ist der Austausch mit dem Team sehr wichtig. Leider wird dem oft zu wenig Raum gegeben, und so nimmt man doch einiges mit nach Hause. Hier muss man dann wirklich aufpassen, da die Familie ja mit derartigen Situationen, die für mich alltäglich sind, leicht überfordert werden kann. Selten, aber doch wird auch manchmal still und heimlich eine Träne vergossen. Bei meinen Kindern würde meine Frau von spannungslösendem Weinen sprechen – ich glaube, so weit entfernt ist das auch bei Erwachsenen nicht.

Was hat sich für Sie persönlich verändert, seit Sie bei der OGP sind? Leben Sie seit- dem bewusster? Und als abschließende Botschaft: Was würden Sie sowohl gesunden als auch nicht gesunden Leserinnen und Lesern ans Herz legen?

Dank der OGP kann ich das breite und vielfältige Feld in derpalliativmedizinischen Betreuung besser überblicken.
Es ist sehr schön, die Fortschritte und Möglichkeiten in ihrer Entwicklung mitzubekommen. Auch die Fortbildungen sind breit gefächert und helfen mit, das Niveau kontinuierlich zu fördern. Natürlich sind auch das Kennenlernen und der Austausch mit erfahrenen Kollegen wichtig – und es ist schön zu sehen, dass sehr viele junge Menschen einen tollen Zugang zum Fach finden.

Was ich sowohl gesunden als auch nicht gesunden Lesern ans Herz legen möchte? Da fällt mir vieles ein … Diese täglichen Versuche, sich das Leben schwer zu machen, verstehe ich mittlerweile überhaupt nicht mehr. Ich denke, wir sollten weniger über andere schimpfen und uns öfter fragen: „Baue ich auf oder führt mein Verhalten zu Unruhe? Ist meine persönliche Einstellung positiv?“ Und gerne würde ich auch noch eine Hausaufgabe für jeden Einzelnen anbieten: Lesen Sie die Worte „Reflexion“, „Haltung“ und „Resilienz“ im Wörterbuch oder auf Wikipedia nach.

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