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Zwischen schlechten Nachrichten und Hoffnung

Foto: Priscilla Du Preez via Unsplash

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Hilbe spricht täglich über Krebs. Als Experte weiß er, wie herausfordernd die Kommunikation über Krebserkrankungen sein kann – für Patient:innen, Angehörige aber auch für das medizinische Personal selbst.

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Hilbe

Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie
Foto: Felicitas Matern

Kommunikation und Krebs: Welchen Stellenwert nimmt Kommunikation in Ihrem medizinischen Arbeitsalltag ein?

Kommunikation nimmt in meinem Arbeitsalltag 95 Prozent der Zeit ein und ist für mich eine wesentliche Aufgabe – auch weil ich Abteilungsleiter bin. Die Diagnose Krebserkrankung ist für Patient:innen und Angehörige natürlich immer ein Schockerlebnis. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Menschen auf diese Krisensituation reagieren. Daher stellt sich natürlich die Frage, wie wir als medizinisches Personal mit Patient:innen richtig kommunizieren und „Bad News“ teilen. Dies stellt eine große Herausforderung dar, da der Umgang mit emotionaler Betroffenheit nicht immer einfach ist. Es gibt dafür Kurse, aber kein Grundrezept zur allgemeinen Herangehensweise – auch weil vieles von der individuellen Persönlichkeit abhängt. Meine Lebenserfahrung beinhaltet zum Beispiel eine gute Informationsbasis für Gespräche und das Prinzip, authentisch zu sein und die Wahrheit zu sagen. Manche Ärztinnen und Ärzte schrecken davor zurück, das komplette Schicksal im Gespräch darzulegen. Ich persönlich denke aber, dass ein:e Arzt/Ärztin ehrlich sein sollte. Kein medizinisches Personal der Welt kann genau wissen, was die Zukunft bringt. Jede:r Patient:in ist ein Individuum, jede Tumorerkrankung hat einen individuellen Verlauf und jeder Mensch befindet sich in einer individuellen Situation. 

Hat sich die Kommunikation rund um Krebs – nicht nur im Krankenhaus, sondern ganz grundsätzlich in der Gesellschaft – verändert?

Selbstverständlich hat sie das; das Stigma „Ich habe Krebs und bin gleich tot“ ist in der Gesellschaft dennoch nach wie vor verankert. Von Jahr zu Jahr werden aber immer mehr Menschen von einer Krebserkrankung geheilt und sprechen darüber. Gerade am Beispiel von Brustkrebserkrankungen wird das besonders deutlich. Bei Bauchspeicheldrüsenkrebs hingehen sehen wir etwa ein ganz anders Bild. Die wenigsten Menschen, die wissen, dass sie aufgrund einer Krebserkrankung nur mehr eine gewisse Zeit zu leben haben, wollen alles verkaufen und eine Weltreise machen. Die meisten Menschen sehnen sich in dieser Phase der Krankheit nach Normalität: in der Früh aufstehen, Zeitung lesen, zu Kaffeerunden gehen, Freunde treffen und Zeit mit der Familie verbringen. Viele wollen einfach den Alltag erleben, in dem man nicht über die eigene Erkrankung spricht, sondern Kraft aus der Normalität schöpft.

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Sie arbeiten in einem sehr herausfordernden Umfeld. Wie gehen Sie damit um, gerade im Übergang zwischen beruflichem Wirken und Privatleben?

Aus meiner eigenen Kariere kann ich sagen, dass man nicht immer so einfach abschalten kann. Natürlich trägt man Emotionales auch mit nach Hause, gerade als junge:r Arzt/Ärztin. Ich habe es aber praktisch nie zuhause mit meiner Familie besprochen, weil es beispielsweise wichtiger war, die gerade verlorenen Schnuller meiner Kinder zu finden. Aber natürlich kann es auch passieren, dass man selbst in eine Depression stürzt. Gerade wenn Menschen sterben, mit denen man viele Gespräche geführt oder zu denen man eine Beziehung aufgebaut hat, ist das eine Belastung. Daher braucht es in diesem Kontext einen Raum, in dem man sich mit Kolleg:innen austauschen kann. Heute geht diese Reflexion durch das neue Arbeitszeitgesetz leider immer mehr verloren. Vor allem junge Kolleg:innen lassen wir mit all diesen Herausforderungen allein. Das ist schlecht.

Was sollte sich hier ändern, was könnte man konkret tun?

Aus meiner Erfahrung ist es wichtig, dass ein Team Zeit hat, miteinander zu reden. Wir müssen den Gesprächen wieder Raum gehen. In Österreich nennen wir das zum Beispiel Kaffeetrinken. Dieses Tool des Reflektierens, des Zusammensetzens im Team ist ein ganz wichtiger Prozess, der ermöglicht, dass nicht nur Patient:innen sondern auch Mitarbeiter:innen mit Belastungen umgehen können. Diese Kommunikation ist wichtig!

Was möchten Sie persönlich gerne rund um das Thema Krebs kommunizieren?

Die Frage ist, ob wir überhaupt von „Krebs“ sprechen sollen. Es gibt nicht „den Krebs“, sondern hunderte Arten von Tumorerkrankungen. Nur die Diagnose Krebs allein heißt genau gar nichts. Es hängt davon ab, welches Erkrankungsbild vorliegt und was das für den/die Einzelne:n bedeutet. Es ist alles möglich: von Krebserkrankungen, die tödlich enden, über jene, mit denen man und nicht an denen man stirbt, bis hin zur Heilung. Jede:r Patient:in hat ihr/sein eigenes Schicksal und wird ihren/seinen eigenen Weg gehen. Es macht daher einen Unterschied, welche Termini wir verwenden und wie wir über Erkrankungen sprechen.

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