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Über Blasenkrebs sprechen – aber richtig

Foto: Felicitas Matern

Univ.-Prof. Dr. Shahrokh Fr. Shariat

Vorstand der Universitätsklinik für Urologie am AKH Wien
Foto: Felicitas Matern

Ein Interview mit dem international anerkannten Blasenkrebs-Experten Univ.-Prof. Dr. Shahrokh Fr. Shariat über verständliche Kommunikation, Quantensprünge in der Medizin und das Tabuthema Tod.

Sie haben 2019 die Initiative STOP Blasenkrebs gegründet. Was war die Intention zur Gründung und warum braucht es diese Initiative? 

Blasenkrebs ist eine sehr komplexe Erkrankung, die nicht nur von klinischen Parametern beeinflusst wird, sondern auch davon, wie Patient:innen ihre Erkrankung wahrnehmen und welche Auswirkungen Blasenkrebs auf ihr Leben, deren Familien und deren soziale Umgebung hat. Da es damals keine Selbsthilfegruppe für Blasenkrebs gab, wollten wir deshalb mit STOP Blasenkrebs einen Ratgeber schaffen, der Patient:innen empowert ihre Krankheit zu verstehen, um so zu mündigen und informierten Partnerinnen und Partnern zu werden. Mit unserer Initiative möchten wir das Bewusstsein für die Erkrankung stärken, gerade auch hinsichtlich früher Anzeichen. Denn wir wissen: Den besten Effekt auf eine Erkrankung – vor allem auf Karzinome – haben nicht ultrateure Medikamente in Spätphasen, sondern Prävention und Früherkennung. Eine weitere wichtige Komponente für die Gründung von STOP Blasenkrebs war die Tatsache, dass es noch zu wenig Investition in die Forschung von Blasenkrebs gibt. Leider hat Blasenkrebs eine hohe Rezidivrate und ist in der Behandlung der teuerste Tumor pro Patient:in. Das hat nicht nur auf die persönliche Situation der Patient:innen Auswirkungen, sondern auch einen sozioökonomischen Effekt. Wir brauchen daher bessere Forschung und mehr Awareness für Blasenkrebs.

Was braucht es, damit Sie als Experte mit Betroffenen gut sprechen können? Und welche Informationen brauchen Betroffene, um gut mit ihrer Situation umgehen zu können?

Das ist eine schwierige Frage. Es braucht eine spezifische Kommunikation abhängig von Alter, Geschlecht und Lebenssituation der Patient:innen. Dafür gibt es nicht das eine Rezept. Mit jüngeren Patient:innen müssen wir anders sprechen als mit 70- bis 80-jährigen, bei denen vielleicht auch andere Begleiterkrankungen vorliegen. Zusätzlich müssen wir darauf eingehen, wie sehr Patient:innen involviert sein wollen. Es gibt Patient:innen, die genau verstehen möchten, was ihre Erkrankung ist und dafür vielleicht sogar wissenschaftliche Artikel lesen wollen. Und es gibt andere Patient:innen, die sich nicht so sehr mit ihrer Erkrankung befassen möchten. Wir müssen aber auch Informationen zur Frühdiagnose in einer verständlichen Sprache zur Verfügung stellen – auf den diversen Plattformen und auch in den Medien. Wichtig für uns ist, dass wir sehr früh mit der Bewusstseinsbildung für die Prävention von Blasenkrebs beginnen und gut kommunizieren können, dass bestimmte Karzinogene, wie insbesondere Rauchen, vermeidet werden sollten. Wir brauchen eine gezielte Strategie, um gerade auch jüngere Generationen anzusprechen – und dafür braucht es sicherlich Social Media.

Stichwort Diagnose: Was hat sich in Hinblick auf die Diagnosestellung – gerade auch im technologischen Bereich – in den letzten Jahren verändert?

Wir stehen am Beginn eines Quantensprungs. Die Wahrnehmung von Blasenkrebs hat sich verändert und damit sind auch die Investitionen in die Erkennung der Krankheit andere. Wir haben heute einerseits viele neue Medikamente und andererseits neue Technologien zur Diagnosestellung zur Verfügung. Ich forsche außerdem seit 20 Jahren an Biomarkern, um Tumore frühzeitig zu diagnostizieren und prognostizieren. Über den Harn könnte in Zukunft mittels eines den Corona-Gurgeltests ähnlichen Systems ein Screening durchgeführt werden, das den gesamten Prozess der Früherkennung verändern würde. Das wäre für unser Gesundheitssystem ökonomisch sehr sinnvoll, weil es uns erlauben würde, die richtigen Patient:innen zur richtigen Zeit zum/zur richtigen Arzt/Ärztin zu schicken. Ein solches Screening würde die Überlebenschancen von Patient:innen deutlich erhöhen. 

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Sie genießen als Arzt und Forscher nicht nur in Österreich sondern auch international ein hohes Renommee. Was könnten wir hier in Österreich noch lernen?

Jedes Land, jede Gesellschaft, ja sogar jede sozioökonomische Subgruppe in einem Land hat eigene Herausforderungen. Ich glaube nicht, dass das Gesundheitssystem in Österreich schlechter ist als in anderen Ländern; aber ich glaube auch nicht, dass wir besser sind. Im Vergleich zu den USA haben wir hier in Österreich zwar kein Problem hinsichtlich des Zugangs zu Behandlungen, aber dafür im Outcome. Wir sind noch nicht so qualitäts- und ergebnisorientiert, wie es sich unsere Patient:innen vielleicht wünschen würden. Darüber hinaus haben wir nach wie vor viel zu wenige Psychoonkolog:innen in unseren Krankenhäusern.

Was würden Sie sich persönlich wünschen? 

Viele Patient:innen kommen zu mir und wissen nicht, wo und wie sie zu vertrauenswürdigen Informationen kommen können. Schließlich stehen ja so viele auch nicht validierte Informationen im Internet. Wir müssen also nicht nur in die Forschung im klinischen, medizinischen Bereich investieren, sondern auch in die adäquate Kommunikation. Patient:innen müssen mit hochqualitativen Informationen zuverlässig versorgt werden. Ich würde mir wünschen, dass in der Gesellschaft endlich das Tabu rund um Krankheiten und den Tod durchbrochen wird. In ihrer Ausbildung müssen Ärzte und Ärztinnen lernen, wie man richtig mit Patient:innen kommuniziert; wie man zum Beispiel schlechte Nachrichten überbringt und auch mit dem Thema Tod umzugehen hat. Die Kommunikation über dieses Thema ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein großes Tabu. Wir müssen Krankheit und Gesundheit ganz anders wahrnehmen und den Wandel hin zu proaktivem und präventivem Denken schaffen. Das müssen wir verändern, wenn wir erfolgreich gesund sein wollen.

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