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Riesenfortschritte bei der Lungenkrebstherapie

Oncological lung cancer disease concept. Guy male man holding medical lung body x-ray photo with pinned white ribbon as a symbol of lung cancer on white isolated background
Oncological lung cancer disease concept. Guy male man holding medical lung body x-ray photo with pinned white ribbon as a symbol of lung cancer on white isolated background
iStock/monstArrr_

Dr. Rainer Kolb, Oberarzt der Abteilung für Lungenkrankheiten am Klinikum Wels-Grieskirchen, berichtet im Interview über molekulare Diagnostik und neue Therapien für LungenkrebspatientInnen.

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Dr. Rainer Kolb

Facharzt für Lungenkrankheiten, Spezialgebiet Lungenkrebs

Was ist ein Lungenkarzinom?

Lungenkrebs ist ganz klar der Krebs der Raucher: Über 90 Prozent unserer PatientInnen rauchen.

Also ist Rauchen die Ursache für Lungenkrebs schlechthin?

Rauchen ist ohne Zweifel die wichtigste Ursache für Lungenkrebs neben anderen Schadstoffen. 

Es wäre von überaus großer Bedeutung für die Eindämmung dieser Erkrankung, könnten wir einen weltweiten Zigarettenstopp erreichen.

Die Politik könnte hier mit klaren Nichtraucherschutzgesetzen helfen, wobei in erster Linie die Raucher selbst vom Nikotinstopp profitieren würden.

Was bedeutet die Diagnose Lungenkrebs?

Lungenkrebs beurteilen wir Pulmologen als aggressiv und absolut tödlich. Unser Urteil hat folgenden Grund: Es gibt für Lungenkrebs keinerlei Möglichkeit der Früherkennung. Die Diagnose erfolgt, weil ein Patient Symptome zeigt, die meist aus einem fortgeschrittenen Tumorwachstum resultieren.

Lässt sich der tödliche Charakter des Lungenkrebses beziffern?

Weltweit sterben heute mehr Menschen an Lungenkrebs als an Brustkrebs, Dickdarmkrebs, Prostatakrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs zusammen, gleichwohl an diesen vier Krebstypen weitaus mehr Menschen erkranken. Auf Österreich bezogen: Jährlich erkranken etwa 38.000 Österreicher an Krebs. 20.000 sterben daran, die meisten an Lungenkrebs.

Wie macht sich Lungenkrebs bemerkbar?

Die Lunge hat keine Nerven, so dass ein Krebs dort lange unbemerkt vor sich hin wächst, ohne Schmerzen zu bereiten. Ein ungewöhnlicher Husten ist ein erstes Symptom, aber: Welcher Raucher hustet nicht? Blutiger Auswurf beim Husten ist ein Alarmsignal, ebenso eine unerklärliche Gewichtsabnahme.

Wer mit diesen Symptomen zu uns ins Lungenkrebszentrum kommt, hat meist einen fortgeschrittenen Lungentumor, der oft schon Metastasen (Tochtergeschwülste) produziert hat. Vornehmlich in den Knochen, was seinerseits Schmerzen verursacht.

Was geschieht bei der Diagnose?

Wir nutzen zunächst bildgebende Diagnoseverfahren: Wir röntgen den Brustkorb (Thorax) und machen eine Computertomografie (CT). Ergibt sich daraus ein Verdachtsmoment, folgt die histologische Diagnose in Form einer Lungenspiegelung und gegebenenfalls einer Gewebeentnahme (Biopsie).

Entscheidend ist die Auswertung der Befunde: PatientInnen mit einem Lungenkrebs im 1. und 2. Stadium, insgesamt unterteilen wir ihn in vier Stadien, also mit einem kleinen Tumor ohne Metastasen, können wir in der Regel operieren. Ihre Chancen, die nächsten fünf Jahre zu überleben, stehen bei 70 Prozent im Stadium 1, was aber auch heißt: Jeder Dritte von ihnen stirbt in dieser Zeit.

Ein Lungenkrebs im 4. Stadium mit Metastasen ist meist inoperabel und bedeutet eine äußerst geringe Chance die nächsten 5 Jahre zu überleben.

Wie behandeln Sie PatientInnen mit fortgeschrittenem Lungenkrebs?

Das Ziel ist stets, die Überlebenszeit zu verlängern und die Lebensqualität zu verbessern. Das versuchen wir mit systemischer Therapie. Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren als Lungenfacharzt, spezialisiert auf Lungenkrebs. Den Großteil dieser Zeit war ich meinen PatientInnen eher Sterbegleiter als Therapeut.

Wir haben allen eine verfügbare Chemotherapie verabreicht und gehofft, dass sie den Krebs bekämpft. Die Entwicklung der Therapie verlief in all den Jahren nur in Minischritten. Das hat sich seit den letzten drei, vier Jahren geändert: Wir machen gerade Riesenfortschritte in der Lungenkrebstherapie.

Inwiefern?

Wir können dank neuer molekularer Diagnoseverfahren, darunter NGS, also Next Generation Sequencing, heute einen Teil der nicht kleinzelligen Lungentumore, die etwa 85 Prozent ausmachen, klassifizieren. Statt der üblichen „Einheits-Chemo-Infusion” verabreichen wir eine neue, jeweils auf den klassifizierten Tumor abgestimmte Medikation in Tablettenform.

Wir zielen mit der Behandlung genauer, daher der Name “Target-Therapie” oder “personalisierte Therapie”. Seit Februar 2017 ist zudem die Immuntherapie, eine Infusion, als Ersttherapie zugelassen, die bislang nur als Folgetherapie nach einer Chemo eingesetzt werden durfte. Sie hilft uns, die körpereigene Abwehr des Patienten zu reaktivieren.

Was bringen die neuen Therapien?

Hoffnung. Wir identifizieren die Lungentumore dank NGS schneller und eindeutiger und gewinnen Zeit zur zielgerichteten Behandlung. Die neuen Therapien sind grundsätzlich verträglicher und reißen die PatientInnen nicht wie eine klassische Chemo aus dem Leben. Sie leiden unter der Behandlung nicht mehr an den üblichen Chemo-Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall und veränderten Blutwerten.

Was kann molekulare Diagnostik?

Neue Hoffnung für LungenkrebspatientInnen: Die molekulare Diagnose von Lungenkarzinomen liefert Daten für neue personalisierte Behandlungen wie Target- und Immuntherapie.

Lungenkrebs ist nicht gleich Lungenkrebs. Das zeigen neue molekulare Diagnoseverfahren wie NGS (Next Generation Sequencing). Jede Tumorzelle hat ihre biochemischen und genetischen Merkmale, ihre DNA. Werden mit NGS bestimmte Merkmale (Marker) identifiziert, lässt sich auf die Art des Lungenkrebses schließen. Bislang sind eine Handvoll solcher Marker bekannt. Die Mediziner bekommen mit ihnen ein klar definiertes Ziel (Target): den zu bekämpfenden Tumor, der mit einer personalisierten Target-Therapie angegangen werden kann. Die neue Target-Therapie wirkt somit nicht so pauschal-brutal wie die klassische Chemotherapie, die bei der Tumorbekämpfung häufig auch gesundes Gewebe zerstört. Und mindert die Nebenwirkungen für die PatientInnen. Ihre Lebensqualität bleibt nahezu erhalten.


Die neue Immuntherapie basiert darauf, dass Krebs entsteht, weil das körpereigene Abwehrsystem nicht in der Lage war, die Krebszellen zu bekämpfen. Dazu muss man wissen, dass der Krebs äußerst geschickt agiert: Er tarnt sich zum Beispiel mit dem Rezeptor PDL-1, der mit den Rezeptoren PD-1 auf den T-Lymphozyten, den körpereigenen Abwehrzellen, kommuniziert und ihnen vorgaukelt, er sei körpereigen. Die Abwehrzellen fallen auf die Maskerade herein und bekämpfen den Krebs nicht mehr. Ein Tumor kann sich daher ungehindert entwickeln. Hier setzt die Immuntherapie an: Sie veranlasst den Körper, die Rezeptoren mit Antikörpern zu besetzen, so dass die „freundschaftliche“ Kommunikation der Krebs- und Abwehrzellen unterbunden wird, so dass letztere den Krebs wieder als Fremdkörper erkennen und abwehren.

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