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Patientenstorys

Dem Leben im Hier und Jetzt ein großes Ja sagen

Female doctor giving encouragement to elderly patient by holding her hands
Female doctor giving encouragement to elderly patient by holding her hands
iStock/doble-d

Wer mit der Begrenztheit des eigenen Lebens konfrontiert wird, sortiert oft Prioritäten neu. Palliative Care hilft dabei in allen Dimensionen: körperlich, psychisch, sozial und spirituell.

Dr. Annette Henry

Palliativmedizinerin

„Helga, jetzt geht’s dem Ende zu, weil jetzt bin ich wirklich ein Hosenscheißer.“ An diesen Satz ihrer Schwester erinnert sich Helga S.. Es war zu einer Zeit, als es der Kranken zunehmend schwerer fiel, sich selbstständig zu versorgen. Angefangen hatte alles mit einem Unfall. Nach mehreren Notoperationen versagten die Nieren.

Als diese jedoch nicht mehr anfingen selbstständig zu arbeiten, wurden weitergehende Blutuntersuchungen durchgeführt. Die Diagnose: Knochenmarkkrebs. Es folgte eine Zeit medizinischer Therapie: Chemotherapie und Blutwäsche wechselten einander ab. Helga S. und ihre Geschwister waren in dieser Zeit stets an der Seite ihrer Schwester, um sie zu unterstützen. Doch sie waren nicht die einzigen.

„In regelmäßigen Abständen kam eine Psychologin, die mit ihr gesprochen hat, und auf ihren Wunsch auch ein Pfarrer. Das hat ihr Entspannung gebracht. Auch wir Angehörigen konnten immer mit dem Pflegepersonal sprechen.“

Kommunikation ist das wichtigste Instrument

„Gespräche helfen und gehören zum Ansatz der Palliative Care,“ sagt die Palliativmedizinerin Dr. Annette Henry. Der Begriff wurde aus einer Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) übernommen. Die Linderung des Leids ist dabei nicht auf die medizinische Dimension begrenzt – denn was zur Bewältigung dieser Situation gebraucht wird, betrifft viele Bereiche. Ärzte und Pflegepersonal kümmern sich um medizinische Konzepte, Psychologen und Seelsorger sind auf diesem letzten Weg psychologische Stütze, Physiotherapeuten helfen bei der Erhaltung der Beweglichkeit und Sozialarbeiter unterstützen bei der Planung und Erledigung von Organisatorischem. „Unsere Haltung nennt man „radikale Patientenorientierung“. Wir gehen mit den Betroffenen in ihrem Tempo durch die Krankheit. Wer im Spannungsfeld zwischen Hoffnung und dem Wissen um die Begrenztheit des eigenen Lebens steht, verdient dabei besondere Unterstützung,“ sagt Dr. Henry. 

„Palliative Care steht für ein Konzept zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen und deren Familien, die mit einer schweren, lebensbegrenzenden Erkrankung konfrontiert sind.“

Der Mensch steht im Mittelpunkt, nicht mehr der Kampf gegen die Krankheit 

Wer im Bereich der Palliative Care arbeitet, hat die Endlichkeit als Teil des Lebens akzeptiert. Ein künstliches Verzögern des Sterbens wird ebenso abgelehnt wie aktive Sterbehilfe. Getan wird, was den Sterbenden und Angehörigen hilft. Wer keine Hoffnung mehr auf Heilung hat, dessen Gedanken kreisen um Gedanken wie: Wer sieht nach meiner Familie und was passiert mit meinem Hab und Gut, wenn ich nicht mehr bin? Wie komme ich noch einmal ans Meer? Auch Helga S. Schwester hat, als alle Beteiligten wussten, dass nach medizinischem Ermessen ihre Lebenszeit begrenzt ist, eine Vollmacht über ihr Vermögen geschrieben. Sie meinte „wir sollen das jetzt in Ordnung bringen“. Behandlung wollte sie am Ende keine mehr, nur Ruhe.“ 

„Hauptwerkzeug ist die Kommunikation – das Gespräch. Wenn die Traurigkeit über das nicht abzuwendende Schicksal erst einmal ein bisschen abgeladen werden konnte und gewürdigt wurde, dann habe ich schon oft erlebt, dass auch wieder sehr viel gelebt werden möchte,“ erzählt die Palliativmedizinerin. Die meisten Menschen wünschen sich zu Hause zu sterben. Statistiken zeigen jedoch, dass dieser Wunsch nur selten in Erfüllung geht. Laut einer Publikation des Roten Kreuzes liegt es daran, dass „häufig so lange versucht wird Leben zu retten, bis es zu spät ist, der betreffenden Person ein Sterben im eigenen Bett zu ermöglichen.“ 

Palliative Care kennt mehrere Wege

Abhängig von der Energie und den körperlichen Ressourcen des Erkrankten ist eine Entlassung nach Hause möglich, oft mit Hilfe eines mobilen Palliativdienstes. Eine weitere Möglichkeit ist es, seine letzten Tage und Wochen in einem Hospiz zu verbringen. Wie verschieden mit dem Bewusstsein des baldigen Lebensendes umgegangen werden kann, zeigt auch der Film „Das Beste kommt zum Schluss“. Die beiden Hauptdarsteller erstellen eine Liste aller Dinge, die sie in ihrem Leben noch erleben möchten und arbeiten diese ab. 

Die Conclusio ist dieselbe, die auch Palliativmedizinerin Dr. Henry in ihrer langjährigen Tätigkeit beobachtet hat: „Es geht darum, dem Leben im Hier und Jetzt ein großes Ja zu sagen. Am Schluss geht es um die Lebendigkeit der wirklich wichtigen Dinge. Und das sind immer die Beziehungen, die Familien und das, was mich als Menschen wirklich ausmacht.“

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