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Patientenstorys

Gebündelte Kräfte für mehr Selbsthilfe

Elfi Jirsa und Helga Thurnher beim Wandern am Herberstein 2017. Foto: ZVG

Zwei Frauen, eine Mission: die Selbsthilfe in Österreich zu stärken. Ein Interview mit Helga Thurnher von der Selbsthilfe Darmkrebs und Elfi Jirsa von der Myelom- und Lymphomhilfe Österreich.

Frau Thurnher, Frau Jirsa, Sie haben beide langjährige Erfahrung in der onkologischen Selbsthilfe. Wie sehen Sie die Entwicklung in den letzten Jahren in Österreich?

Helga Thurnher: Gemeinsam mit dem Onkologen meines Mannes haben wir 2004 die Selbsthilfe Darmkrebs gegründet und damit absolutes Neuland betreten. Am Anfang wurden wir vor allem von älteren Ärzt(inn)en belächelt und nicht so wahr- genommen, wie es heute der Fall ist. Denn in den letzten Jahren hat sich sehr viel verändert! Wir werden anerkannt und auch die Medien haben Interesse an der Selbsthilfe. Ich hoffe, dass sich in Zukunft noch mehr zum Wohle der Patient(inn)en verändern wird.

Elfi Jirsa: Meine Sichtweise ist ähnlich und auch meine Selbsthilfegruppe wurde 2004 nach amerikanischem Vorbild gegründet. Alle Menschen mit Blutkrebserkrankungen sind – wenn man das so sagen kann – bei uns willkommen. Wir bemühen uns, Kontakte herzustellen und Informationen weiterzugeben

Ist der österreichische „Selbsthilfekosmos“ heute gut aufgestellt?

Thurnher: Die Selbsthilfe hat in Österreich noch immer nicht den Stellenwert, den sie haben könnte. In Amerika, Großbritannien, aber auch Deutschland gibt es ganz andere Zugänge. In Österreich ist die Selbsthilfe immer noch mit dem Mäntelchen des Jammervereins besetzt. Dabei ist die Selbsthilfe so wichtig, um sich mit „Gleichgesinnten“ auszutauschen.

Jirsa: Gerade nach einer Diagnose fragen sich viele, wie es denn jetzt weitergeht. Gott sei Dank gibt es mittlerweile Ärztinnen und Ärzte, die auf die Selbsthilfe hinweisen. Wir hören immer wieder, wie wichtig die Gespräche im Rahmen der Selbsthilfe sind. Ärztinnen und Ärzte haben oftmals leider nicht die Zeit dazu. Wir weisen immer wieder darauf hin, wie wichtig in diesem Zusammenhang die flächendeckende Verfügbarkeit von Cancer Nurses wäre, um über Ängste oder über in unserer Gesellschaft schambesetzte Themen, wie Verdauung oder Sexualität, zu sprechen.

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Welche Aufgaben und Ziele, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es in der Selbsthilfe Darmbeziehungsweise Blutkrebs?

Thurnher: Ein großer Unterschied zwischen unseren beiden Krankheitsgruppen ist, dass es bei Darmkrebs zwei Möglichkeiten gibt: Entweder wird er rechtzeitig erkannt und ist heilbar oder er wird eben nicht rechtzeitig erkannt und verläuft daher zumeist tödlich. Ein chronischer Verlauf wie bei Blutkrebs kommt bei Darmkrebs eher selten vor. Daher ist es auch manchmal ein bisschen schwierig, Menschen zu finden, die bei uns mitarbeiten wollen. Genesene wollen nichts mehr davon hören und Kranken fehlt oftmals die Kraft dazu. Elfi und ich haben aber gleichzeitig auch sehr viele gemeinsame Themen, wie etwa Lebensqualität, mündige Patient(inn)en oder Patient(inn)enrechte. Außerdem wollen wir den Menschen näherbringen, dass Krebs nicht gleich Tod bedeutet.

Jirsa: Genau, daher ist auch meine wichtigste Aufgabe, dass ich ich bin. Denn ich wurde bereits 1989 mit einer Erkrankungsvorstufe diagnostiziert und erhalte seit knapp 20 Jahren Therapien. Ich bin heute 73 Jahre alt und lebe ein Leben, das viele „normale“ 73-Jährige in unserer Gesellschaft nicht leben. Die Selbsthilfegruppe hält mich jung! Helga ist für die Angehörigen ein Testimonial und ich bin es eben für Patient(inn)en.

Welchen Stellenwert haben denn Angehörige im Rahmen der Selbsthilfe, braucht es Selbsthilfe für Angehörige?

Thurnher: Es war und ist uns ein großes Anliegen, auch etwas für die Angehörigen zu tun. Als mein Mann die Diagnose Darmkrebs erhalten hat, wusste ich nicht, mit wem ich nun darüber reden könnte. Daher organisieren wir auch Treffen für Angehörige, damit auch sie über ihre Sorgen und Anliegen sprechen können. Denn Angehörige gehörigen genauso betreut wie Patient(inn)en!

Wie sehen Sie die Zukunft der Selbsthilfe in Österreich?

Thurnher: Wir haben heuer die Allianz der onkologischen Patientengruppen gegründet, um Kräfte zu bündeln – auch für das politische Engagement. Wir wollen erreichen, dass Menschen, die Selbsthilfegruppen führen, geschult und ausgebildet sind. Im Rahmen der neuen Allianz möchten wir eine Ausbildung im Rahmen eines universitären Lehrgangs auf die Beine stellen.

Jirsa: Wir wollen auch, dass es nicht mehr heißt: Na ja, die kennen sich ja nicht aus. Es wird sehr viel über Patient(inn)en gesprochen, aber leider noch viel zu wenig mit Patient(inn)en und deren Vertreter(inne)n.

Welche Verbesserungen wünschen Sie sich für die Selbsthilfe innerhalb des Gesundheitssystems? Soll es von der Selbsthilfe hin zur Patient Advocacy gehen?

Thurnher: Genau das ist unser Ziel! Wir haben in Österreich acht Millionen Einwohner(innen) und damit auch acht Millionen Patient(inn)en – denn irgendwann wird es jede(r) einmal. Daher ist es wichtig, dass Menschen mit Ärzt(inn)en auf Augenhöhe sprechen können.

Jirsa: Denn Patient(inn)en sollen als Menschen und nicht als statistische Größe wahrgenommen werden.

Thurnher: Daher wünschen wir uns auch, dass es für das medizinische Personal eine Kommunikationsausbildung gibt. Für Ärztinnen und Ärzte gibt es das zwar, aber nicht verpflichtend. Wir haben außerdem noch Aufholbedarf im Bereich der Nachsorge.

Jirsa: Und es gibt in Österreich kaum niedergelassene Onkolog(inn)en. Für mich ist es auch ein Ziel, dass alle Patient(inn)en gut versorgt werden. Mein politisches Verständnis ist es, dass es möglichst allen gut gehen soll. Wenn man das irgendwie erreichen kann, dann sollte man das auch tun!

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