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Gesund, aber nicht geheilt

Nicole Kultau erhielt 2010 ihre Brustkrebsdiagnose. Im Interview berichtet die alleinerziehende Mutter von Justin, der schwer behindert geboren wurde, über ihren Weg durch Diagnose und Therapie.

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Nicole Kultau

Im Mai 2010 erhielt ich mit 41 Jahren die Diagnose Brustkrebs. Für mich stürzte, wie für so viele betroffene Frauen und Männer, meine kleine Welt ein. © Foto: Harald Peter Fotografie

Wie kam es zur Diagnose Ihres Brustkrebses?

Ich war wegen Zyklusproblemen bei meiner Gynäkologin. Beim Abtasten meiner linken Brust fühlte sie eine Verhärtung, die ich noch nicht bemerkt hatte. Ich wiegelte eine Abklärung zunächst ab, weil ich das Ganze den Hormonen zuschrieb. Daheim setzte ich mich an den Computer und begann zu googeln … Ich las viel Beunruhigendes und redete mir ein, dass es nicht auf mich zuträfe. Beim nächsten Termin war der Knoten noch da. Die Ärztin schickte mich sofort zur Mammografie.

Der Radiologe vermutete ein Fibroadenom, eine gutartige Geschwulst. Ich fühlte mich, wie noch einmal davongekommen zu sein. Eine Woche später war ich wieder bei meiner Gynäkologin. Sie las den radiologischen Arztbrief und hatte schlechte Nachrichten: Es gab plötzlich doch Grund zur Sorge. Ich sollte sofort ins Brustzentrum.

Wie fühlten Sie sich in dem Moment?

Ich war fassungslos. Ich rannte zum Auto und fuhr wie eine Geistesgestörte zur Klinik. Das war absolut fahrlässig. Nach der Sonografie bekam ich einen Termin für eine Magnetresonanztomographie (MRT) und direkt im Anschluss für eine Stanzbiopsie. Die Tage bis dahin waren voll Angst …

Wie lautete die Diagnose?

Man fand zwei Tumore in meiner linken Brust, dicht beieinander liegend. Zudem ein angeblich harmloses Kalkfeld, das sich erst später als DCIS, eine Vorstufe von Brustkrebs, herausstellen sollte. Die Knoten zeigten sich im MRT klar abgegrenzt – es hieß, dass das auf ihre Gutartigkeit deute … Ich nahm die Hoffnung mit heim. Ich rief dann zum erstmöglichen Zeitpunkt in der Brustambulanz an, um die Ergebnisse abzufragen.

Durchs Telefon hörte ich, wie die Schwester den Hörer bei Seite legte, ein paar Schritte machte und in Papieren blätterte. Dann vernahm ich ein leises „Oh Gott!“. Ihre Frage, wann ich denn in die Klinik kommen könnte, beantwortete ich schon von unterwegs. Ich organisierte die Heimkehr meines Sohnes nach der Ganztagsschule und fuhr aufgelöst in die Klinik.

Dort bekam ich den Krebsbefund: Mamma-Karzinom G3. Ich fragte, ob ich jetzt sterben müsse. Daraufhin sagte meine Ärztin, dass ich daran nicht denken sollte. Wie sollte ich angesichts zweier Krebsknoten in meiner Brust die Gedanken an den Tod, die Todesangst abschalten?

Wie wurden Sie behandelt?

Schon bei der Diagnose hieß es, dass mein Fall – denn das war ich nun: nur ein Fall – in der kommenden Tumorkonferenz behandelt werden würde. Ich sollte mir bis dahin überlegen, ob ich die Chemotherapie vor oder nach der OP wollte …

Wie stellten Sie sich der Entscheidung?

Allein. Ich bin als alleinstehende Frau und alleinerziehende Mutter eines schwerbehinderten Jungen schwierige Entscheidungen gewohnt. Nicht, dass sie mir leicht fielen …

Wie entschieden Sie sich?

Ich war inzwischen über Brustkrebs und seine Therapie informiert. Mir war klar, dass ich erst die Chemo wollte. Sie würde die Tumore bestenfalls schrumpfen lassen … Ich traf meine Entscheidung sofort.

Was hätten Sie in dieser Situation gebraucht?

Einen Psychoonkologen. Einen, der sich mit Traumata auskennt. Denn das ist eine Krebsdiagnose: ein Trauma. Wir KrebspatientInnen brauchen psychologische Begleitung. Stattdessen habe ich auf dem Weg zum Auto zwei Geschwister angerufen. Ich habe das Wort Krebs laut gesagt, um vor allem mir klarzumachen, dass ich daran erkrankt bin.

Haben Sie mit ihrem Sohn gesprochen?

Ich sagte ihm, dass ich krank sei. Und Veränderungen anstünden. Dass ich meine Haare verlieren und eine Glatze bekommen würde. Justin kannte Krankenhausbetten damals schon, er wusste, was Schmerzen sind.

Wie erlebten Sie die Chemo?

Ich habe sie mit allen Tiefen und Höhen erlebt, zwischendrin hatte ich Tagesklinik und Brustzentrum gewechselt. Man behandelte mich umsichtiger, verabreichte mir die Chemo verträglicher und war rundum fürsorglicher. Ich war mehr Mensch als Fall.

Dann folgte die Brust-OP?

Die Knoten hatten sich während der Chemo großteils aufgelöst. Die Brust wurde operiert, ein Drittel davon wurde entfernt. Die anschließende Bestrahlung versetzte mich –- anders als die Chemo, die viel Kraft gekostet hatte – in Panik. Strahlen sind einfach nicht greifbar …

Sind Sie heute gesund?

Ich bin gesund, aber nicht geheilt, denn mein Krebs war erblich bedingt, die Bedrohung Krebs wird damit zu meinem Lebensgefährten. Mir ist bewusst, dass bis zu 30 Prozent der betroffenen Frauen Metastasen entwickeln.

Inwiefern?

Ich ließ mich 2011 auf genetisch bedingten Krebs testen, auf das Ergebnis wartete ich acht Monate. Im Nachhinein fand ich heraus, dass ich väterlicherseits vorbelastet bin. Das Testergebnis lautete: Ich bin BRCA2-Patientin. Das heißt, dass ich einen ererbten Gendefekt habe, der ein erhöhtes Krebsrisiko birgt.

Ich ließ mir deshalb vorsorglich meine Eierstöcke entfernen und senkte damit das Risiko für eine neue Krebserkrankung an Eierstöcken und Brust erheblich. Hätte ich die Diagnose von Anfang an gehabt, hätte ich mir gleich beide Brüste komplett entfernen lassen.

Was raten Sie Frauen mit ähnlichem Schicksal?

Wir PatientInnen müssen über unsere Krankheit  Bescheid wissen, um Entscheidungen über unseren Körper und unser Leben mit treffen zu können. Denn wir haben nur den einen Körper, nur das eine Leben.

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